Dienstag, 17. Juni 2014

Am Pass agieren mit Passagieren

Aussicht am Frühstückstisch
Bartgeier ahoi!
Blumenwiesen
Schafsland

Schließlich konnten wir uns nach dem Frühstück losreißen und machten uns auf den Weg zum Pass. Serpentine nach Serpentine, von einem Berg zum anderen. Kein Auto hatte genügend Platz für drei Rucksacktouristen (neben Thalia war auch noch ein junger Ex-Wwoofer dabei). Auch nicht ein weißer Lada mit Priester, Fahrer und Tomaten an Bord. Ersteren haben wir am Abend noch einmal gesehen und zwar beim Schwarz-Fischen im Ganzkörperangeloutfit. Kurz vor dem Pass (2970 m) fanden wir schließlich doch noch eine Mitfahrgelegenheit. Zwei deutsche Abenteuerer mittleren Alters, die bereits eine ordentliche Menge Bier auf dem Weg verkostet hatten („diese Deutschen!“). Auf dem Pass machte uns einer schließlich ein Geständnis. Er sei der „Penny-Sucht“ verfallen und könne es nun kaum ertragen, fünf Tage lang auf das Vergnügen eines Besuches in jenem Supermarkt verzichten zu müssen. Fotopause – posieren mit Bier und ohne Zähne, richtig gehört, der junge Mann nimmt seine Zähne heraus und grinst in die Kamera. Nicht nur wir staunen nicht schlecht, auch die anderen Leute um uns herum. Weiter geht es, mit einem unerfahrenen Fahrer auf einer kaum befahrbaren Fahrbahn. Ein Georgier, der sich der Reisetruppe ebenfalls als Anhalter angeschlossen hatte, musste ihm anfangs den Vierrad-Antrieb erklären, wie beruhigend! Eine Weile später, um einen Anhalter reicher, kamen wir schließlich oben an, in Omalo, der „Hauptstadt“ von Tuschetien. Diese Blumenwiesen, ich meine diese Blumenwiesen, so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Beinahe vergaß ich darüber die atemberaubende Aussicht. In einem Flusstal schlugen wir schließlich unser Lager auf und schon am nächsten Tag verdammte ich uns für diese Entscheidung – schon wieder Bergauflaufen. Zurück in Omalo besuchten wir den einzigen „Shop“ dieser Ortschaft, die schätzungsweise ganze dreißig Häuser einschließt. Vier alte Damen wie auf der Stange hockend und zwei jüngere, die uns zu einem Kaffee einluden. Alle verbringen sie den Winter in Kvemo Alvani (7 km von unserem Zuhause entfernt). Nicht nur sie, die meisten Tuschen die wir trafen, machen das so. Es ist verwunderlich, dass in Kvemo den Sommer über überhaupt noch Menschen leben. Mit einem Einheimischen geht es zurück zur Straßenmeisterhütte, wo wir die Nacht verbrachten und natürlich bis zum Mittag des nächsten Tages blieben. Diesmal nüchtern, zumindest halbwegs. Mit der nährstoffreichsten Suppe überhaupt im Bauch und schlimmen Schmerzen am Fuß, ging es an den Abstieg. Unsere Glücksträhne war um, kein Auto in Sicht, nur Regen, der sich unaufhaltsam auf uns zubewegte. Letztlich konnte ich mich doch bis zum letzten Dorf schleppen, von Kopf bis Fuß völlig durchnässt. Nachdem wir gefühlt Stunden damit verbracht hatten, von vorletzten ins letzte Dorf zu kommen, nahmen wir uns ein Taxi. Das war der teuerste Teil unseres Urlaubs 10 Lari (rund 4 €). Schön war es und anstrengend.

Im Deutzpulli auf dem Pass

 
 

Rumpelstilzchen und der Traktorist



„Ruft die Botschaft an, sie sind wieder aufgetaucht!“, soweit ist es glücklicherweise nicht gekommen, aber beinahe. Nachdem wir fünf Tage lang nicht im Dorf gesichtet wurden, hielten es unsere Nachbarn nicht mehr länger aus. Die Information über unser angebliches Verschwinden drang schließlich bis zu meinen Eltern vor. Warum keiner auf die Idee kam, uns anzurufen, ich weiß es nicht. In Sachen mobile Kommunikation macht den Georgiern sonst keiner etwas vor; jedes alte Mütterchen hat ihr Telefönchen stets zur Hand.


Nun zu dem interessanten Teil dieser Geschichte, der von unserer abenteuerlichen Reise nach Tuschetien handelt. Los ging es, mit etwas Verspätung, zur Mittagszeit und zwar am Samstag. Ein Bekannter fuhr uns bis zu dem vorletzten Dorf, von welchem aus es noch 72 km bis nach Omalo sind. Natürlich mussten wir uns dort erst einmal setzen und ein kühles Bierchen genießen, wie man das bei Wandertouren eben so macht. Bis zu Kilometer 13 wurde anschließend getrampt, von dort aus schafften wir es tatsächlich fast bis zum Abano, nur die letzten Serpentinen überwanden wir mithilfe eines Pickups (vollbeladen mit jungen Kerlen, die auf dem Weg zu einem Angelausflug waren). Bis auf den älteren Fahrer und dessen Sohn, hüften alle Jungs auf die Ladefläche, wo, aufgrund des enormen Vorrats an Essen und Getränken, kaum noch Platz war. Scheinbar gefiel es ihnen ganz gut dort, denn nachdem wir ausgestiegen waren, blieben sie direkt sitzen/ liegen/ hängen.

Abgeschiedenheit
Dem Traktorist, sein Traktor ist
Das Abano ist einer der seltsamsten Orte, die ich je besucht habe. Ein großes Haus, dessen zahlreiche Zimmer komplett mit Betten ausgestattet sind. Niemand ist da, überall stehen Salzpackungen herum. Es liegt unterhalb der Straße und ist der einzige Ort, an dem man vor dem Tal auf der anderen Seite des Passes übernachten kann. Denn der Weg ist steinig und steil, ganz zu schweigen von der Gefährlichkeit (Erdrutsche, Steinschläge, Tiere). Nur wenige Schritte von diesem Haus entfernt, liegt es, das Abano (Bad). Vor wenigen Jahren erbaute dort der Cousin des Straßenmeisters eine kleine Bäderanlage. Eines davon ist noch Betrieb und wurde von uns ausgiebig genutzt. Warum da, irgendwo im Nirgendwo? Es gibt eine heiße Schwefelquelle, die das Bad stets mit frischem Wasser versorgt. Purer Luxus, vor allem nach einer anstrengenden Wanderung! In der Nacht stürmte es wie verrückt, was unseren Plan, draußen unter dem Sternenhimmel zu übernachten, durchkreuzte. Doch auch das war eine besondere Erfahrung, denn die Gewitter, direkt neben dem Gebirge, sind ein Erlebnis für sich. Minutenlanges Grollen, als ob der Himmel sich den Magen verdorben hätte. Taghell ist es beinahe, denn das Unwetter kesselt einen ein und es blitzt auf allen Seiten. Nachdem der Straßenmeister, der in einer kleinen Hütte direkt neben der Straße wohnt, uns um seine Hilfe gebeten hatte, leisteten wir ihm in seinem Häuschen Gesellschaft. Wir sollten auf jemanden warten und ein Auto anschieben. Doch dieser jemand erschien nicht, nicht an diesem Tag und an keinem anderen. Es scheint mir ein Vorwand gewesen zu sein, um sein doch recht einsames Einsiedlerleben für kurze Zeit vergessen zu machen. Naja von einer kurzen Zeit kann kaum die Rede sein, denn nachdem wir die Spielkarten ausgepackt und das Essen zubereitet hatten, fing die ganze Misere erst an. Aus den drei Chacha, die wir gemeinsam trinken sollten, wurden geschätzte dreizehn. Und so löste sich dieser Tag in Chacha auf. Das einzige nennenswerte Ereignis war die zeitweilige Anwesenheit von zwei Traktoristen. Einer von ihnen entsprach ziemlich genau unserer Vorstellung von Rumpelstielzchen.
Adieu, Rumpelstielzchen!



Dienstag, 3. Juni 2014

Ich wollte ein Okapiposter

Dienstagmorgen, eine Minute vor acht, Regen. Ursprünglich wollte ich um sieben aufstehen, um die Sense zu schwingen. Doch einmal mehr wollen sich meine Pläne nicht umsetzen lassen. Ich nehme mir viel vor, ich schaffe viel nicht, weil viel dazwischen kommt. Es ist zum Haare Ausreißen. Es kommt mir so vor, als wolle da jemand verhindern, dass ich produktiv bin. Freizeit habe ich im Moment genug. In der letzten Woche besuchten mich meine Eltern und da wir uns ein Auto gemietet hatten, konnten wir auch Orte besuchen, an die ich noch nicht gekommen war. Die Höhlenfestung Uplisziche zum Beispiel, die einst Platz für 10.000 Menschen geboten haben soll. Oder Sighnaghi, eine kleine Stadt auf einem Berg, mitten in unserem schönen Kachetien gelegen. Es ist unglaublich, wie viele Gelder in den letzten Jahren dorthin geflossen sein müssen. Die Stadt wurde renoviert – allerdings nur äußerlich. Es kommt vor, dass man hier durch das Fenster eines imposanten alten Hauses schaut und nichts als eine heruntergekommene Ruine erblickt. Ein seltsamer Ort, rein auf Tourismus ausgelegt. Doch schon allein die Straße war ja tatsächlich ein Erlebnis; eine sich komplett im Umbau befindliche Serpentinenstraße. Zuhause wäre diese natürlich gesperrt worden, hier kann man den Fortschritt direkt beobachten. Nachdem man den Rückweg antritt, wird bereits die erste Kurve geteert. Zudem haben wir den 26. Mai hautnah in der Hauptstadt miterleben dürfen. Es handelt sich um den Nationalfeiertag, an dem die Einheit und Unabhängigkeit Georgiens gefeiert wird. Was insofern schwierig ist, da sich die beiden Konfliktherde Abchasien und Südosstien als autonom bezeichnen, was von vielen Georgiern jedoch konsequent ignoriert wird. Die beiden Gebiete hätten schon immer zu Georgien gehört und sie sollten es auch in Zukunft, so die Message. Die Werbebanner, die schon Tage zuvor in der gesamten Stadt (wahrscheinlich in ganz Georgien) angebracht wurden, zeigten jedenfalls die Umrisse eines vereinigten Georgiens, so wie es im Moment faktisch einfach nicht existiert. Nicht nur das kam einen an diesem Tag seltsam vor, es war die Art und Weise, wie sich das Land auf der Prachtstraße der Hauptstadt zu präsentieren versuchte. Trampolinspringende Jugendliche, Käseverkostung und der Jachtclub. Weiter hinten – auf dem Freiheitsplatz – eine Darbietung der militärischen Ausrüstung. Dunkelgrüne Panzer mit rosa Flecken zeigen, was an PS in ihnen steckt. Kleine Kinder posieren für ihre Eltern auf den sauber angeordneten Gefährten (Bilder folgen, wenn wieder genügend Internet am Start ist).